Ich kann mir gut vorstellen, dass es eine Rechtsprechung geben mag, aus der die Finanzverwaltung ihr Vorgehen ableitet. Das Ergebnis ist im Jahr 2022 trotzdem absurd: "Schriftlich mit eigenhändiger Unterschrift" ist im Jahr 2022 EBEN NICHT das zuverlässigere Verfahren: Bei Versandt über Elster kann genau nachvollzogen werden, wer die Nachricht übermittelt hat. Bei Fehlverhalten des Übermittlers besteht also ein nahezu 100-%iges Aufdeckungsrisiko. Ein Fehlerverhalten eines Steuerberaters bei Mißbrauch der Vollmachtsdatenbank ist mit 10.000 Euro Geldbuße bedroht. Durch das 100-%ige Aufdeckungsrisiko hätte die Verwaltung sicher auch die Möglichkeit, den fahrlässig oder vorsätzlich handelnden Berater in Regress zu nehmen. Trotzdem besteht die Finanzverwaltung auf dem "schriftlichen" Verfahren. Wenn die Verwaltung "pseudo-schriftliche" Verfahren (eingescanntes PDF mit einfacher Mail) akzeptiert, macht es das noch absurder und schlimmer: Mein Azubi produziert mir in kurzer Zeit jedes PDF mit jeder Unterschrift, die ich möchte. Wenn ich dieses PDF mit einfacher Mail versende, hat die Verwaltung schlechte Chancen, den wahren Absender der Mail in Erfahrungen zu bringen - zumindest rechtssicher zu beweisen. Das Entdeckungsrisiko bei fahrlässigem oder vorsätzlichem Fehlverhalten liegt also deutlich unter den 100% im Elsterverfahren. Ich habe eher den Eindruck, dass die Entscheider sich an eine Rechtslage klammern, die dem Stand der Technik von vor 20 Jahren und früher entspricht und die technischen Unterschiede zwischen "schriftlich" i.S. des BGB aus dem Jahr 1900 und "Elster" einfach nicht verstehen. Was dabei auch absurd ist: ich kann mit der ESt-Erklärung eine Bankverbindung über Elster übermitteln, was akzeptiert wird. Wenn diese Bankverbindung über den identischen Kommunikationsweg mit einem anderen Tool übermittelt wird, wird es nicht akzeptiert???? Das ist eben Deutschland im Jahr 2022. Für Gutschriften kann ich vielleicht noch ein gewisses Restverständnis aufbringen. In Gottes Namen kann die Verwaltung ja hier ein Risikomanagement betreiben und bei sechsstelligen Beträgen Bestätigungen für den Einzelfall anfordern. Bei Lastschriften fehlt mir aber jedes Verständnis: ich kann bei jedem Stromanbieter beliebige Lastschriften einrichten, ohne dass ansatzweise die Legitimation geprüft wird. Das kann ich doch im "schriftlichen" Verfahren genau so. Noch mal: Betrug ist im "schriftlichen Verfahren" genau so möglich - aber schwerer nachweisbar. Was passiert, wenn ich das Konto meines Nachbarn angebe? Er wird die Lastschrift widerrufen. Ja. Doch das kann der Steuerpflichtige auch, wenn er zuvor das "richtige" Konto angegeben hat. Und bei widerrufenen Lastschriften gibt es durchaus Sanktionen: 12% Säumniszuschlag sind nicht ohne. Mir fällt auch keine Konstellation ein, bei der die Finanzverwaltung in einem Insolvenzfall schlechter gestellt wäre, wenn sie von einem falschen Konto abbucht.
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