Ich grüße alle Teilnehmer! Die gesamte Debatte ist aus meiner Sicht ein Dokument kollektiver Ratlosigkeit gegenüber einem Problem, das in Wirklichkeit keines ist (warum es das nicht ist, erschließt sich weiter unten). Ich konstatiere: 1. Natürlich gibt es unstrittig genetische Varianten, die wir als das 'dritte Geschlecht' bezeichnen. Daraus folgt zwingend, dass die überkommene Ansprache als männlich/weiblich für den betroffenen Personenkreis nicht passt, soweit ihm daran gelegen ist, aus der vormaligen Unkenntlichkeit herauszutreten. Zwar bin ich mir gar nicht sicher, ob das die Betroffenen mehrheitlich überhaupt wollen, und nicht vielmehr höchst zufrieden phänotypisch als Mann oder Frau leben - aber das sei dahingestellt. 2. Ferner ist festzuhalten: Unsere Sprache bietet keine angemessene, für jede Situation taugliche und damit generalisierbare Anredeform für das dritte Geschlecht. Eine Versetzung ins Neutrum ("Sehr geehrtes Emil Müller") ist nicht vorstellbar, weil mit dieser Behelfslösung eher eine Sache als ein Mensch assoziiert werden würde. 3. Ein ebensolcher Irrweg ist allerdings aus doppeltem Grund auch die Einführung einer neuen Standardanrede aller Adressaten mit einem gewissermaßen vorbeugenden "Guten Tag Vorname Nachname" wie es hier vorgeschlagen wurde. Der Grund: Zum einen stellt der jeweilige Vorname (in der Regel eindeutig männlich oder weiblich) eine grobe, die Geschlechterzugehörigkeit präjudizierende Zuschreibung dar, die von den Eltern über ein Neugeborenes verhängt wir, ohne es je gefragt zu haben. Kein Mensch stellt sich unter einem "Siegfried Müller" etwas anderes als einen Mann vor. Ganz sicher jedenfalls keinen Menschen, der irgendwo zwischen den Geschlechtern beheimatet ist, so dass just die von Intersexualität Betroffenen, um derentwillen die ganze Veranstaltung ja aufgeführt wird, sich hier kaum angemessen wahrgenommen fühlen dürften. Ein Beleg für die Richtigkeit dieses Arguments ist auch der Umstand, dass, soweit ich weiß, Menschen, die sich aufgrund von echter Intersexualität oder bloßer Befindlichkeit nicht mit einem der beiden bi-gender Geschlechter identifiziert wissen wollen, gerne andere Vornamen zulegen wie etwa die bekannte Aktivistin Antje Hornscheidt, die sich "Lann Hornscheidt" nennt. Der zweite und aus meiner Sicht weitaus gravierendere Grund, warum dies keine gangbare Lösung ist, liegt darin, dass der übergroßen Mehrheit der Nichtbetroffenen (immerhin 99,993% der Bevölkerung, denn nur 0,007% sind intersexuell) durch eine solche Anrede die Respektbezeugung vorenthalten wird, die sich in der Ansprache als "Frau" oder "Herr" ausdrückt. Denn genau darum geht es doch: Um den Respekt. Wie kämen wir dazu, unseren Kunden (m/w) dieses Minimum an Höflichkeit in der Ansprache zu verweigern? Ich jedenfalls bin nicht der einzige, der sich grob angerempelt fühlt durch ein "Guten Tag Carsten Seebass". Eine solche Ansprache hat die Verbindlichkeit und Ehrerbietung eines Formulareintrages im Einwohnermeldeamt, nämlich gar keine. Eindeutige Identifikation der Person. Punkt. – Und sonst nichts. Ich lege größten Wert, ja ich bestehe darauf, von Menschen und Institutionen, mit denen ich in keiner weiteren persönlichen Beziehung stehe, als "Herr Seebass" angeredet zu werden und kenne viele, denen es ganz genauso geht. Kunden mit einem "Guten Tag Emil Müller" einen nassforschen Rippenstoß zu verpassen, zeugt von mangelndem Stilgefühl und ist völlig undenkbar. Man stelle sich einfach vor, man schriebe der Kanzlerin. Wie würde man sie anreden? "Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin" oder "Guten Tag Angela Merkel"? Der Fall ist wohl klar. Ich jedenfalls werde Post, die mir eine respektvolle Anrede verweigert, zurückweisen. Und nun zur eingangs versprochenen Lösung, derentwegen ich das Ganze für ein leicht zu lösendes Problem halte: Statt 99,997% der Adressaten eine höfliche Anrede zu verweigern und viele zu verprellen, sollten wir an allen Stellen, wo sich Betroffene als dem dritten Geschlecht angehörig identifizieren können, eine Freizeile einfügen, in der die gewünschte Anrede für die künftige Korrespondenz hinterlegt werden kann. Dies generiert sicher einen gewissen Programmieraufwand bei allen formularbasierten Anwendungen, aber der ist mittelfristig ohnehin unvermeidbar, wenn wir das dritte Geschlecht ernst nehmen wollen. Die Fallzahlen, um die es geht, werden minimal sein, so dass notfalls vorerst auch eine Abarbeitung von Hand denkbar sein sollte. Der Aufwand zahlt sich jedenfalls aus, denn so – und nur so – präsentiert sich ein Unternehmen wie die DATEV korrekt und respektvoll zugleich.
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