Wir wollen zum Steuerfachangestellten ausbilden und einem körperlich eingeschränkten Jugendlichen die Ausbildung ermöglichen. Dabei haben wir festgestellt, dass die DATEV-Software anders als die Office-Programme nicht barrierefrei sind und die Standards von Microsoft bzw. anderen Unterstützungsprogrammen nicht unterstützen.
Daher fragen wir uns, ob die Beschäftigung von Menschen mit Einschränkungen machenbar ist. Gibt es Kollegen die behinderte Menschen beschäftigen oder selbst ein Handicap (blind, Sehschwäche, gehörlos) besitzen? Wie funktioniert die DATEV-Programmnutzung, welche Unterstützung werden eingesetzt?
Wir sind gespannt auf Erfahrungsberichte bzw. für Tipps dankbar.
Interessante Fragen, die ich mir auch schon gestellt habe (z.B. beim Thema Berufsunfähigkeit/Unfall).
Meiner Meinung nach ist der Beruf mit einer starken Sehbehinderung/Blindheit nicht bzw. nicht uneingeschränkt ausübbar.
Mit entsprechenden Vorkenntnissen (die Sehbehinderung tritt nach Ausbildung und Berufspraxis ein) ist dies wahrscheinlich auch schon recht schwierig. Ich bemerke an mir schon die ersten Stolpersteine im Zuge der allgemeinen Altersweitsichtigkeit, verbunden mit einer sehr starken Kurzsichtigkeit.
Die Programme haben hier auf Grund der Komplexität der Anforderungen keine ausreichende Unterstützung, diese kann ich mir auch in naher Zukunft nicht vorstellen. Für den Berufsalltag nutzen wir jeweils 2 große Monitore auf denen unzählige Informationen abzulesen sind.
Zudem ist die Ausbildung und die Ausübung des Berufes noch immer zwingend mit der Fähigkeit verbunden, schnell und viel geschriebenen Text zu lesen und zu schreiben. Für die Fortbildung gibt es zwar Audio-Material, für die Ausbildung und die tägliche Berufsausübung sind mir solche Unterstützungen jedoch unbekannt. Schlechtes Hören schränkt natürlich auch sehr ein (insbesondere bei der persönlichen Beratung), sollte aber insgesamt - meiner Meinung nach - weniger Barrieren aufbauen.
Danke für Ihr Feedback.
Interessanter Weise werden alle Gesetzestexte barrierefrei bereit gestellt und auch Internetseiten werden (soweit standardkonform programmiert) von den Hilfsprogrammen (Vorlesen und Braille-Zeile) unterstützt.
Da ich einen sehbehinderten Bekannten habe, muß ich die DATEV- Software negativ beurteilen.
Der Blinde muß die Programme komplett mit der Tastatur ohne Maus bedienen.
Windows 10 bietet die "Sprachausgabe" an, die eine blinde Bedienung ermöglichen sollte.
Die Braille- Zeile liest auch nur das vor, was sich in einer Zeile befindet. Navigation mit den Cursor- Tasten.
Testen Sie es selber aus, welche Informationen der Blinde bekommt und probieren Sie selber, ob Sie ohne sichtbarem Mauszeiger aus dem Arbeitsplatz Pro die relevanten Anwendungen starten und dann sogar bedienen können.
Ein KO- Kriterium sind dann sicherlich zusätzlich die Papierbelege, die auch in gescannter Form von keinem OCR- System der Welt so aufbereitet werden können, daß ein Blinder z.B. einfach eine Ordnungsmäßigkeit einer Rechnung oder gar einen Steuerbescheid prüfen kann.
Ergänzend zur Negativkritik möchte ich fragen, ob es andere, ähnlich komplexe Programme gibt, die diese Leistung schaffen? Sind diese Anforderungen nach dem derzeitigen Stand der Technik nicht generell unrealistisch?
Wenn man die vorhandenen Standards einhält ist dies machbar. Siehe SAP, dort umgesetzt da Musskriterium im US-Markt.
In der Steuerberatung / von den Fachangestellten geht es doch nicht nur um standardisierte Datenerfassung.
Meiner Meinung kann hier kein Vergleich angestellt werden, denn der Steuerfachangestellte gibt nicht nur vorgegebene Daten nach Schema yyz ein, sondern muss sich zunächst mit deren Beschaffung, Würdigung und rechtlichen Einordnung befassen. Zudem gibt es Gestaltungsmöglichkeiten und rechtliche Unsicherheiten.
Weiterhin erfolgt die Informationsbeschaffung mit den unterschiedlichsten und daher nicht standardisierten Medien, inklusive dem persönlichen Kontakt zum Mandanten (der auch nicht standardisiert ist - der Mensch). Ein Vorlesen aller Informationen wird wohl nur über eine aufwändige Vorbereitung in digitale Daten möglich sein. Ich glaube auch, dass Vorlesen nicht die Qualität und Geschwindigkeit hat/bietet die bei Ausbildung und täglichem Beruf notwendig sind. Ich denke da an meine Prüfungsvorbereitung mit 2 Papiertonnen Lehrmaterial und hunderten beschriebenen Blöcken. Angeblich hat bei der Steuerberaterprüfung jemand 100 Seiten an 3 Tagen geschrieben, ich kam nur auf ca. 25 Seiten pro Tag, wobei die Aufgabenstellung auf rund 5 Seiten stand. Allein die Aufgabenstellung zu lesen hat in etwa 1/3 der Prüfungszeit also ca. 2 Stunden benötigt. Wer hier schon als gut-sehender zu langsam war, hat die Prüfung nicht bestanden.
Sollten Sie Bilanzierungsregeln meinen (Standards - US-GAAP etc.) sind auch diese nach o.g. Schema überhaupt erst einmal zu ermitteln, die reine Datenerfassung ist danach nur noch das kleinere Problem.
Darf ich fragen welche berufliche Qualifikation Sie haben, evtl. betrachten Sie das Ganze aus einem anderen Blickwinkel.
Welche Standards meinen Sie?
Software muß auch für behinderte Menschen nutzbar sein.
In diesem Bereich sind die USA wesentlich weiter, was die Teilhabe von Behinderten angeht.
Ich gehe davon aus, dass körperlich eingeschränkten Menschen - diese Arbeit mit den heute möglichen Mitteln auch in hoher Qualität erledigen können. Selbst Fahrpläne werden inzwischen vom Handy durch die Kamera erfaßt und vorgelesen. Damit sind nicht die Möglichkeiten der Technik das Beschränkende, sondern die schlechte Programmierung und hoffe ich das die DATEV nachbessert.
Es geht uns auch nicht um die Ausbildung zum Steuerberater sondern zum Steuerfachangestellten. Grundsätzlich glaube ich auch, dass die erfassenden Tätigkeiten von heute ca. 25% in den nächsten Jahren auf unter 10% zurückgehen wird. Und sobald die Daten im Computer sind, sehe ich keine Tätigkeiten (Beurteilen, Entscheiden und Verarbeiten) die jemand mit Behinderung nicht ausführen kann.
Qualifikation: StFA und StB, Nutzen DATEV und SAP
Wir hatten gehofft, dass es bereits Kanzleien gibt, die auf diesem Gebiet Erfahrungen haben und diese mit uns teilen würden. Scheinbar ist die Beschäftigungen von Behinderten unterdurchschnittlich, was unsere bisherigen beruflichen Erfahrungen leider bestätigt.
Mal sehen ob wir dieses Experiment wagen.
Sehr geehrter Herr Westphal,
da der Berufsstand der Steuerberater und der steuerberatenden Beruf sehr von der Visualisierung abhängt und, wie bereits oben an anderer Stelle angedeutet, es ein wichtiger Punkt ist, Dokumente auf Inhalt zu prüfen und ggfls. näher zu untersuchen, halte ich es für extrem schwierig sehbehinderte Mitarbeiter in den täglichen Arbeitsablauf zu integrieren.
In unserem Berufsstand gibt es viele Kollegen, die Mitarbeiter mit einer Behinderung beschäftigen. Natürlich kommt es auf die Art der Behinderung an, die sich schließlich in der Leistungsfähigkeit des Mitarbeiters ausdrückt.
Ich kenn die Leistungsfähigkeit von sehbehinderten Steuerfachleuten nicht, gehe aber davon aus, dass für die Bearbeitung einzelner Steuerfälle ein eingeschränkter Kollege ein vielfaches der Zeit benötigt, als andere Personen ohne eine Sehbeeinträchtigung.
Ein anderes Beispiel: Würden Sie einen Fahrlehrer mit einer Sehbehinderung in einer Fahrschule beschäftigen, wenn das autonome Fahren von PKW weiter fortgeschritten wäre?
Jedenfalls drücke ich Ihnen bei Ihrem Vorhaben die Daumen und würde mich zu gegebener Zeit über eine Rückmeldung von Ihnen diesbezüglich freuen.
Grüße aus dem Rheinland
Martin Heim
Abschließend möchte ich sagen, dass ich mir dies - auch in den nächsten 10 Jahren - nicht annähernd vorstellen kann. Wie gesagt, ich habe ja gegen eine blinde Person nur eingeschränkte Sehprobleme und merke trotzdem die Schwierigkeiten. Allerdings finde ich es löblich und stark von Ihnen sich hieran zu versuchen. Kompliment für Ihren Einsatz und viel Erfolg.
Herzlichen Dank dafür, dass Sie das wichtige Thema ansprechen!
Ich habe selbst auch schon über das Thema nachgedacht. Von der Datev erwarte ich in dieser Hinsicht eigentlich nichts. Die Usability der Software ist schon für körperlich nicht eingeschränkte Nutzer m.E. oft an der Grenze zum morgendlichen Kopf auf die Tischkante schlagen. Übersichtlich und intuitiv zu benutzen ist etwas anderes! Um eine Sprachausgabe der Bildschirmansicht sinnvoll zu gestalten, müsste zunächst eine dafür geeignete Grundstruktur der Programme entwickelt werden. Da sehe ich bei diesem Vorstand keine Prioritäten für dieses m.E. wichtige Thema.
Da ich selbst neben einem "ordentlichen Knick in der Optik und Kurzsichtigkeit" auch noch mit einer schicken Altersweitsichtigkeit gesegnet bin und dann nach einem ganzen Tag am Bildschirm meine Augen nur noch schonen möchte, habe ich habe ich mir eine sehr kostengünstige (mit Werbung kostenlos, werbefrei 9,50 EUR) für mein Androidtablet besorgt. Damit kann man sich Websites, Onlineartikel aber auch insbesondere PDF-Dateien (Bücher! und Aufsätze) in einer gut verständlichen Qualität vorlesen lassen. Ich muss aus einem Text nur ein Pdf generieren oder ein Buch gleich als PDF-Ausgabe erwerben und in die App einlesen. Dann wird mir vorgelesen. Eine Bearbeitung der Texte ist sehr einfach möglich, d.h. man kann Inhaltsverzeichnis, Fußnoten etc ausnehmen.
Word-Dateien kann man sich von Word vorlesen lassen. Danach wird es mit den Büroanwendungen schwierig. Vielleicht haben die Behindertenverbände Ideen und Softwarehilfsmittel, die sie empfehlen könnten? Ggf. könnte man auch bei US-amerikanischen Kollegen anfragen, welche Hilfsmittel ihnen zur Verfügung stehen.
Herzliche Grüße, schönes Wochenende
Ich drück die Daumen, dass Sie mit Ihrer Suche weiterkommen.
"Die Usability der Software ist schon für körperlich nicht eingeschränkte Nutzer m.E. oft an der Grenze zum morgendlichen Kopf auf die Tischkante schlagen." Übersichtlich und intuitiv zu benutzen ist etwas anderes!"
Cool
Guten Morgen liebe Alle,
ich habe hier herzhaft gelacht, Danke, auch wenn es eigentlich nicht lustig ist.
Wir haben bei DATEV das Thema Barrierefreiheit schon länger auf dem Schirm und es gibt auch einige, wenige Kollegen, die sich stark dafür (in der Software-Entwicklung) einsetzen.
Im letzten Jahr gab es hier endlich auch den erwünschten Durchbruch beim Top-Management, dass man dieses Thema auch offiziell vorantreiben darf. Allerdings würde ich unsere Bestrebungen hier noch sehr in der Anfangsphase sehen, weil das Portfolio sehr breit und die Ressourcen (noch) sehr klein sind. Außerdem fehlt eine „strategische“ Verankerung des Themas in den Zielvorgaben für die einzelnen Produkte, so dass wir aktuell noch für das Thema „werben“ müssen. Aber wir sind dran!
Nur damit das klar ist, ich würde das Thema liebend gerne noch stärker vorantreiben. Was uns vielleicht (unternehmensweit) noch fehlt ist die Erkenntnis, dass barrierefreie Software bessere Software für alle Anwender ist und, dass Barrierefreiheit nicht schwierig (=teuer) in der Umsetzung ist, wenn man es bei Neuschreibung der Produkte sofort als Anforderung definiert (es ist bei Bestandsprodukten, aber ehrlich gesagt nur sehr teuer „nachzurüsten“).
Ist jemand hier beim Barcamp dabei? Vielleicht wäre das Thema eine Session wert? Wenn wir das Haus durch Ihre / eure Mithilfe stärker für das Thema sensibilisieren können, dann macht es auch meinen Kollegen das Leben leichter.
Es muss klar werden, dass Barrierefreiheit dem Großteil unserer Mitglieder (und deren Mandanten) hilft, bspw. bei diversen Krankheiten im Alter, bei kurzzeitigen Beeinträchtigungen oder auch auf dem immer härter werdenden Arbeitsmarkt.
Aktuell muss sich ein Thema Barrierefreiheit ja „gegen“ andere strategische Themen “durchsetzen.“ Und solange der Wunsch nach Barrierefreiheit kaum von außen an uns herangetragen wird, wird dieses Thema in der Prioritäten-Liste leider nicht besonders hoch aufgehängt werden.
Liebe Grüße und ein schönes Wochenende!
Alper
Danke für die Info, klare und echte Worte. Ich schätze Ihren Einsatz hier in der Community sehr. Schönes Wochenende.
Ich kann mich Herr Dostal nur anschließen, tolle Arbeit alperaslan
Hallo Zusammen,
ich bin Beauftragte für Diversity und Inklusion bei DATEV. Die Vielfalt in Unternehmen nimmt immer weiter zu und zunehmend werden auch Menschen mit Beeinträchtigungen auf dem Arbeitsmarkt gesucht und beschäftigt. Auch wir beschäftigen uns natürlich mit diesen Themen. Ich möchte daher einige Gedanken zu den Punkten von Alper ergänzen.
Zunächst einmal die gesetzliche Lage: Jeder Arbeitgeber in Deutschland ist gesetzlich verpflichtet, laut Paragraph 3a Abs. 2 Arbeitsstättenverordnung, einen barrierefreien Arbeitsplatz für seine Mitarbeiter bereitzustellen, wenn er tatsächlich Menschen mit Behinderung beschäftigt und nur bezogen auf deren konkreten Beeinträchtigungen. Es gibt aber bisher keine gesetzliche Vorgabe für privatwirtschaftliche Software-Hersteller, wie bspw. in den USA, dass deren Produkte barrierefrei sein müssen. Im öffentlichen Bereich ist die Gesetzgebung bereits heute schärfer. Natürlich beobachten wir die gesetzliche Lage in Deutschland und der EU weiterhin.
Um die Bedarfe unserer Kunden bzgl. Barrierefreiheit besser zu kennen, wurde im Oktober erstmals ein Teil unserer Mitglieder zum Thema digitale Barrierefreiheit befragt. Die Auswertung der Befragung liegt noch nicht vor. Wir werden das Thema mit Hilfe der gewonnenen Erkenntnisse mit den relevanten Entscheidern neu bewerten.
Ich danke Ihnen für den Impuls an dieser Stelle.
Bei der Barrierefreiheit sind meines Erachtens drei Dinge unabhängig voneinander anzupacken:
Allgemein ist der Einsatz von Blinden im Telefondienst am einfachsten zu realisieren.
Folglich sollten die Basics, wie Eigenorganisation, Email- Integration und die Dokumentenablage priorisiert werden, so dass hier alle notwendigen Infos verfügbar werden.
Wo muss ich meckern? Wem muss ich auf die Nerven gehen, damit ich Sie und die Kollegen bei dem wichtigen Thema "Entwicklung von barrierefreier Software" unterstützen kann?
Hallo Frau Decker,
wir besprechen das Thema mit der Geschäftsleitung der Entwicklung, sobald die Daten vorliegen, da dies ja ein grundlegendes Thema für das Portfolio ist.
Es gehört aber auch in den Vorstandsbereich Personal, wo auch Frau Lazai herkommt.
Viele Grüße
Alper
Hallo Herr Aslan,
bitte berücksichtigen Sie bei den Überlegungen auch, dass ein Bedarf auch mit der Möglichkeit geschaffen wird. Bis zu dieser Diskussion hätte ich jederzeit gesagt, ich habe keinen Bedarf an barrierefreien Programmen, weil ich mir nicht mal hätte vorstellen können, dass z. B. ein Blinder den Beruf des Steuerfachangestellten oder des Steuerberaters ausüben kann. Aufgrund dieser Diskussion fange ich an, darüber anders nachzudenken.
Wenn DATEV zunächst einmal in einzelnen Bereichen anfangen würde, barrierefreie Programme oder Hilfen zu den Programmen bereit zu stellen, würden eventuell mehr Kollegen sich darüber Gedanken machen und daraus könnte dann auch wiederum ein höherer Bedarf an solchen Programmen entstehen.
Viele Grüße,
B. Fitschen